Die Eingebildete

»Internationale Netzwerkuniversität« will die FU sein – und weiß nicht mal, was sie damit meint. Anchalee Rüland hat ihren beziehungsarmen Campus durchforstet und nach Initiativen gesucht.


Illustration: Michi Schneider

Wenn es um die »Anwesenheitsnotiz« geht, gerät Johanna ins Schwärmen. Gemeinsam mit Freunden und Kommilitonen hat die 24-jährige Literaturwissenschaftlerin die Zeitschrift für Hausarbeiten aus dem Boden gestampft. In der Arbeit stecken viel Schweiß und Herzblut. An Geld mangelt es aber. »Wir haben in der Ernst-Reuter-Gesellschaft zwar einen Sponsor gefunden«, sagt Johanna, »aber wir müssen weiter nach Geldgebern suchen.« Auf die Frage, ob sie die Uni um Hilfe gebeten haben, entgegnet sie verblüfft: »An wen hätten wir uns da denn wenden sollen?«

Fragt man die Pressestelle nach Ansprechpartnern und Netzwerken, folgt Ratlosigkeit. Der neue FU-Präsident Peter-André Alt weiß auch noch nicht recht, was er dazu sagen soll: »Studentische Netzwerke sind ein Aspekt der Netzwerkidee, der bisher nicht im Zentrum stand, da wir Internationalisierung im Auge hatten.«

Nicht nur die Universität ist überfordert. Auch den Studenten fehlt der Durchblick. »Die einzelnen Gruppen sind auf Eigenwerbung angewiesen«, meint Natalie Patzek, Geschichtsstudentin an der FU. »So kennt eigentlich niemand das ganze Angebot. Von einer Veranstaltung, bei der sich alle vorstellen, habe ich nichts gehört«, bedauert Natalie.

Dass es auch anders laufen kann, weiß Shan Qiao. Eigentlich studierte sie Biochemie an der FU. Doch als die 23-Jährige im vergangenen Jahr mit Erasmus nach Cambridge ging, gefiel es ihr dort zu gut. Sie entschloss sich, zu bleiben. Inzwischen hat Shan eine Stelle im Department of Genetics und schreibt fleißig an ihrer Diplomarbeit. Anfangs musste sie sich jedoch wie alle anderen »Freshers« erst zurecht finden. »In Cambridge wird einem das leicht gemacht«, findet Shan. Denn es gibt eine jährliche Messe für die studentischen »Societies«. Die Projektlandschaft in Cambridge ist lebendig. Wer sich nur zu Beginn des Studiums über bestehende Netzwerke informiert, ist schnell von gestern. »Es gibt hier einfach alles«, schwärmt Shan. Von Sport, Sprachen und politischen Gruppen bis hin zum »Käse-Essen-Club«.

Jedes Jahr präsentieren sich in Cambridge um die 350 studentischen Clubs über zwei Tage hinweg. Beim letzten Mal waren es 10 000 Besucher. Die FU bietet kein Äquivalent. »Bis zum Wintersemester 08/09 gab es eine zentrale Immatrikulationsveranstaltung. Im Anschluss daran konnten sich Projektgruppen vorstellen«, sagt Carsten Wette, Pressesprecher der FU. »Mittlerweile sind für die Vorstellung der Netzwerke die Institute verantwortlich.« Im Klartext: Die gesamte Initiative liegt wieder bei den Studenten. »Wir versuchen bei möglichst allen Erstsemesterveranstaltungen anwesend zu sein«, berichtet Kristina Kämpfer von der Liberalen Hochschulgruppe. Kein leichtes Unterfangen bei nur 25 aktiven Mitarbeitern, aber 12 großen Fachbereichen und unzähligen Instituten. Unter dieser Anbindungslosigkeit leidet nicht nur das studentische Projektleben, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl an einer Universität mit rund 40 000 Angehörigen.

Kann der Verwaltungsapparat nicht wenigstens online für Klarheit sorgen? Angekommen im 21. Jahrhundert bietet das Internet genügend Möglichkeiten, Studenten zu informieren. Auf der FU-Webseite forstet man dennoch vergebens nach einer Auflistung der studentischen Gruppen und Projekte. Rechtliche Gründe würden der Universität die Hände binden, weiß FU-Präsident Alt.

Probleme, die sich eine Universität von Rang nicht leistet. Eine E-Mail an die Pressestelle von Cambridge, zehn Minuten später hat man die Auflistung aller »Societies«, über 600 Stück an der Zahl. Beim Onlineauftritt der Universität St. Gallen, eine der europäischen Kaderschmieden für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, ist der Gesamtüberblick über das studentische Angebot ebenfalls nur wenige Mausklicks entfernt.

»Es ist wirklich schade«, sagt Nils Ludwig, Vizepräsident des Internationalen Clubs an der FU. »Wir verbringen viel Zeit mit Öffentlichkeitsarbeit und trotzdem kennen uns viele nicht.« Dabei klingt das Konzept der studentischen Organisation gut. »Mit Veranstaltungen wie Regional-abenden oder Stammtischen bringen wir Studenten zusammen, die sich austauschen und Sprachen lernen können«, legt Nils das Hauptanliegen dar.

Trotzdem ist das Interesse und Engagement der Studenten gering. Neben der fehlenden Unterstützung machen die Organisatoren das Bachelor/Master-System verantwortlich. »Vielen, die ihr Studium ernst nehmen, fehlt die Zeit, sich an der Uni zu engagieren«, gibt Tatjana Zieher von der FU-Hochschulgruppe der Jusos zu bedenken.

Der Zwang zum Durchstudieren ist groß. Dennoch entstehen ambitionierte Projekte wie die »Anwesenheitsnotiz«. Den drei studentischen Gründern geht es nicht nur darum, in Schubladen verstaubte Hausarbeiten wiederzubeleben. »Unser Ziel ist es, ein großes Netzwerk aufzubauen«, begeistert sich Johanna. »Wir möchten Studenten zum wissenschaftlichen Austausch bewegen.« Da die FU solche Projekte angeblich nicht unterstützen kann, springt die Ernst-Reuter-Gesellschaft (ERG), Dachverband der Alumni-Vereinigungen, ein. Mit einem Budget von 250 000 Euro sind die Grenzen jedoch eng gesteckt. »Wir können den Studenten nur den Anschub finanzieren und Mut machen«, beschreibt Wedigo de Vivanco, Geschäftsführer der ERG, das finanzielle Problem. Mit rund 2700 Alumni ist die Vereinigung im internationalen Vergleich sehr klein. Die Universität St. Gallen zählt an die 19 000 Ehemalige und hat damit allein aus den Mitgliedsbeiträgen das dreifache Budget. Die Alumniarbeit an der FU befindet sich in einem Teufelskreis. Wenig Geld heißt wenig Präsenz. Wenig Präsenz zieht ein geringes Interesse der Studenten nach sich, womit die Mitglieder ausbleiben. »Bisher konnte sich in Deutschland keine Alumni-Kultur entwickeln«, so de Vivanco. »Bis vor wenigen Jahren haben die Studenten mehrmals den Studienort gewechselt. Wem gehört dann ihre Loyalität?« Doch de Vivanco räumt ein: »Das Problem liegt auch in der Mentalität. In den letzten Jahren ist das Interesse gewachsen, ein Umdenken findet statt.«

Momentan entsprechen die Netzwerke der FU gerade dem Minimum für ein soziales und politisches Campusleben. Auch die Alumni-Arbeit steckt noch in den Kinderschuhen. Keine optimale Situation, um sich als »Internationale Netzwerkuniversität« zu rühmen. Was genau mit dem Begriff »Netzwerk« gemeint ist, scheint den Verantwortlichen selbst nicht klar. Der Meinung ist auch der stellvertretende Direktor des »Centre for International Cooperation« Dr. Herbert Grieshop: »Als man das Konzept erarbeitete, wurde die Bezeichnung bewusst offen gehalten.«

Dass der Netzwerkgedanke an der FU unausgegoren ist, scheint auch Präsident Alt bewusst zu sein. So setzt er in seiner Mailantwort vorsichtshalber ein paar Gänsefüße: »Unser »Netzwerk«-Konzept bezieht sich auf den Anspruch, universitäre Partnerschaften weltweit zu entwickeln.« Auf diese Weise stelle die Universität für alle Statusgruppen weltweite Kontakte zur Verfügung. »Meine Studierenden in Germanistik«, so Alt, »können etwa im Master für ein oder zwei Terms nach Cambridge gehen, ohne Studiengebühren entrichten zu müssen«. Das Netzwerk biete den Studenten Vorteile, die der normale Programmaustausch nicht eröffne. Im Vordergrund steht die Internationalisierung. Das sieht auch de Vivanco so: »Wir suchen Kontakt zu FU-Alumni im Ausland. Ein Netzwerk, das sich positiv für die FU ausspricht, ist viel wert.«

Verglichen mit den Elitestandorten »Oxbridge« in England und der »Ivy League« in Amerika ist das Budget der FU schwach. Trotzdem ist Alt optimistisch: »Wir versuchen, das nach Kräften durch gute Ideen auszugleichen.« In der Regel gilt aber: Bevor man sich auf internationales Parkett begibt, will das Laufen gelernt sein. Die Bezeichnung »Internationale Netzwerkuniversität« ist hohl. Denn von innen heraus fehlen die nötigen Netzwerke, um sich auf der Metaebene erfolgreich vernetzen zu können. In den Worten von Alt braucht unser beziehungsloser Campus vor allem: Ideen. Und die präsidiale Bereitschaft, auch Taten folgen zu lassen.



Im Text erwähnte Gruppen:

Anwesenheitsnotiz – http://www.anwesenheitsnotiz.de/

Internationaler Club FU Berlin – http://www.internationalerclub.de/
Kontakt Di. 16-17 Uhr Garystr. 45

Jusos FU Berlin – http://www.hochschuljusos-berlin.de/
Kontakt Mo. 19.30 Uhr bei der GEW

Liberale Hochschulgruppe – http://fu-berlin.liberale-studenten.de/

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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