Ihr Beute, ich Tiger

Catharina Tews ist schon länger an der FU. Erstis verspeist sie zum Frühstück.

Illustration: Christian Güse

Deadlines sind Interpretationssache. Ich persönlich interpretiere oft bis zum Semesteranfang. Dann geht mir der Arsch auf Grundeis. Also betrete ich nach der nächtlichen Fertigstellung meiner Hausarbeit total übermüdet die Zedat. 09.00h. Der erste Tag nach den Semesterferien. Vor meiner Nase fährt die Erste den Computer direkt wieder runter. Nicht schön, aber selten. Der Zweite telefoniert neben mir mit Mutti. Lautstark. Der Dritte druckt das Jahresmanuskript für das Paarungsverhalten von siamesischen Pandabären aus. Wäre das eine Filmszene, würde eine hektisch quietschende Geige dem Szenario die Hintergrundmusik verleihen.
Spanischseminar. 2 Minütchen zu spät. Eine Runde hochgradig übermotivierter Zwölfjähriger tadelt mich mit ihren Blicken wie das Mädchen, das aus Versehen schwanger wird, während der Rest des Jahrgangs strebsam zwischen Studium und Sozialen Jahr auswählt. Nur das ich nicht versetzungsgefährdet, sondern „Mehrti“ bin. Müde und abwartend, wie die Tigerdame nach einem dicken Antilopensnack, versuche ich erst einmal die Lage einzuschätzen und mich in das altbekannte Stadium des „Sich-unsichtbar-Machens“ zu versetzen. Meine stilles „Auf-der-Lauer-Liegen“ wird von einem scharfen, wiehernden Lachen durchschnitten. Da! Schon wieder! Aaahhh, dem Dozenten in den Arsch kriechen, nee ist klar. Als er von seinem Badeunfall erzählt und es einmal zu viel loswiehert, folgt prompt die Bitte, extra Übungsaufgaben bereitzustellen. Das helfe ja schließlich ALLEN. „Fury, don’t you dare messin’ with a tigerlady!“ Fury hat sich einen „Jung und gut gelaunt“-Sticker aufs Hausaufgabenheft geklebt. Für die einen Aufkleber, für die anderen Bulls Eye!
Nach dem Seminar sind sie plötzlich überall: Wie ein Schwarm kleiner Lemminge, bloß weniger zielgerichtet. „Kannst du mir den Raum… “ *Zisch. Da bin ich schon weg. Brauche Koffein. Mensa anpeilen. Hach, Karte aufladen. *Klirr. *Klirr. *Klirr. *Klirr. „Mädchen, erst dat Geld reinstecken, dann die Karte ranhalten!“ Ein Danke begleitet von einem Hundeblick der sagen will: „Willst du meine neue, allerallerallerbeste Freundin auf der ganzen Welt sein?“ Tigerfauchen löst die Situation in meinem Sinne.
In der Mensa. Cola gegriffen. Mörderlange Schlange. Das dünne entnervte Stimmchen der Kassiererin ist kaum wahrzunehmen: „Wer kein Heißgetränk hat, bitte vorkommen!“ Anfängerfehler! Da schreitet die Tigerdame stolz, weil ja viel erfahrener als die anderen, an einer langen Schlange Lemminge vorbei und freut sich innerlich wie Bolle!
Die Ausgangssituation im nächsten Seminar kommt ihr, scharfsinnig wie eh und je, irgendwie Spanisch vor. Ich und ein anderer „Mehrti“ sind allein. Tiger unter sich. Mutterseelenallein. Der Dozent lässt auf sich warten. Grillen zirpen. 20 Minuten später frage ich ein Mädchen auf dem Gang, das aussieht, als wüsste sie mehr. Ihre Antwort: „Ich bin neu, aber ich glaube das Seminar fängt erst nächste Woche an.“ Ein Déjà-vu aus dem letzten Semester. Da hat sich die Tigerdame wohl in den eigenen Mehrti-Schwanz gebissen. Ich schätze, am ersten Tag sind wir wohl alle irgendwie Ersties.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

2 Responses

  1. Yulian sagt:

    Ach, wie schön. Toller Text, Tigerlilly.

  1. 2. November 2010

    […] Ihr Beute, ich Tiger […]

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