Tatwaffe Wolle

Kleben, Stricken und Gärtnern sind DIE alternativen Streetart-Formen. Was Omas Hobbys mit politischem Protest zu tun haben. Von Carolin Benack, Christian Güse und Angelina Scheck.

Illustration: Christian Güse

„You don’t go to a restaurant and order a meal because you want to have a shit.“ Was das sagenumwobene Streetart-Phantom Banksy uns damit sagen will: Ruhm ist bestenfalls das Abfallprodukt von Kunst. Seine anonym verzierten Häuserfassaden haben nur den Namen, nicht den Mann dahinter berühmt gemacht. Anonym, weil illegal. Doch während Banksy noch ganz old school seine Werke per Sprühdose an die Wand bringt, sind andere schon weiter. Denn die Streetartkünstler von heute haben Omis alte Lieblinge wieder entdeckt. Mittlerweile sind Wolle, Klebeband und Pflanzensamen die angesagtesten Materialien zur künstlerischen Gestaltung unseres urbanen Planeten. So lächerlich das klingt: Auch mit ihnen kann der fluchtartige exit through the gift shop durchaus mal notwendig werden.

Knasterfahrung erwünscht

Tikki* sitzt auf einer verschlissenen Couch im Studentencafé. Ihren roten Lockenkopf hat sie über einen Schal gebeugt, an dessen Ende sie geschickt mit zwei Nadeln hantiert. „Das ist für unser project“, sagt die FU-Studentin mit britischem Akzent. Mit project meint sie das nächtliche Einstricken von…was denn eigentlich? Sie lacht nur, das bleibe erstmal ein Geheimnis. „Aber bald werden es viele Leute sehen. Und es wird sie hoffentlich zum Lächeln bringen.“

Was Tikki macht, hat viele Namen: Guerilla Stricken, Yarn Bombing, Knit Grafitti. Sie selbst nennt sich Extreme Knitter. Wie die Begriffe schon andeuten, hat das Ganze nicht mehr viel mit den selbstgestrickten Schlupfmützen zu tun, die man als wehrloses Kind von Omi übergestülpt bekommen hat. Die Anhänger der Bewegung lassen ganze Straßenschilder, Bäume oder Telefonzellen unter ihrer Wolle verschwinden. Hintergrund ist der Streetart-Gedanke: die Zurückeroberung des urbanen Raums. Der soll nicht nur gemütlicher, sondern auch schöner werden. Wie die Fachsprache der Strickenden zeigt, gibt es hier so einige Parallelen zum Graffiti: So wird das Einstricken von besonders großen Objekten wie Bussen oder Panzern als „bombing“ bezeichnet, bestimmte Künstler stricken sogar ihre eigenen „tags“, also ihre persönliche Signatur, in die kuscheligen Kunstwerke. Ein großer Unterschied zur altmodischen Sprühvorlage findet sich trotzdem: Die Knit Graffitis sind bewusst nicht für die Ewigkeit konzipiert, schließlich ist der Ausgangsstoff biologisch abbaubar.

Dass Tikki um ihr project ein solches Geheimnis macht, ist nicht verwunderlich. Immerhin ist das Strickbombardement nicht so ganz legal. Darauf angesprochen, bricht sie in Lachen aus. Man stelle sich vor, ein Gerichtsverfahren, Tatwaffe Wolle. „Eigentlich hoffe ich sogar, dass wir festgenommen werden. Das wäre super lustig!“

Punk zu verkaufen

Vor einer Festnahme müssen Timm Zolpys’ Schützlinge keine Angst haben. Der Mann mit dem lichten Haar ist Manager von so ziemlich allen Tape Art Künstlern in Berlin. Gerade begutachtet er die Arbeit von einem, der das Schaufenster eines Ku’dammer Klamottengeschäfts beklebt. Das Ganze findet nicht nachts statt, sondern an einem brütend heißen Sommertag von 30 Grad, die sich aber anfühlen wie 40. Er habe auch mal an der FU Politik studiert, erzählt Zolpys, jaja, die OSIs seien schon ein komisches Volk. Doch keine Zeit zum Plaudern, der Geschäftsführer des Klamottenladens naht. Zolpys muss noch ein paar Dinge ihm klären. Der sieht nach Anfang 30 aus, hat die blondierten Haare zu kleinen Spitzen gegelt. Er scheint wie die wandelnde Version seines Ladens, in dem zwischen Nike-Schuhen und überteuerten unifarbenen T-Shirts gelegentlich das „Never Mind the Bollocks“-Shirt hervorblitzt. Rebellion für den, der genug Asche hat.

Passend dazu pappt der Tape Art Künstler gerade ein Abbild des Markenschuhs ans Schaufenster. Seine Klebebänder in verschiedensten Größen und Farben hat er aus Zolpys „Klebeland Shop“ im Wedding. Immer wieder streicht er bei seiner Arbeit die zotteligen Haare aus dem Gesicht. Nach zehn Minuten muss erstmal Zigarettenpause sein. Zolpys gesellt sich dazu. Ganz entspannt.

Nervenkitzel und message? Fehlanzeige. Auf die Frage, ob denn auch illegal getapet wird, antwortet Zolpys vage: „Es gibt welche, die das machen. Das sind aber nicht viele.“ Sowieso bemüht man sich um das Saubermann-Image von Tape Art. Auf der Website von Klebeland ist unter anderem von der Kooperation mit Kunsthochschulen zu lesen. Fragt man aber nach, entpuppt sich diese „Kooperation“ als eine einzige Seminarsitzung am privaten Institute of Design in Berlin. Etwas dünn für den Plural.

Schöner Scheitern

„Mit Saubermann-Image hat das hier denkbar wenig zu tun“, lacht Jane Doe* über die Tape Art-Jungs vom Ku’damm. Mit Spaten und Papierbaumschmuck in der Hand tritt sie in den Hof neben der Philologischen Bibliothek. Sie trägt eine schwarze Kurzhaarperücke und eine 3D-Brille, schließlich studiere sie hier und wolle nicht erkannt werden. “Und mit der 3D-Brille kann man im Dunkeln immer noch besser sehen, als mit einer Sonnenbrille.” Dicht hinter ihr folgt John Doe*, der trägt eine Spidermanmaske und eine kleine Tanne. „Wir wollen unsere Uni ein bisschen weihnachtlicher machen“, dringt gedämpft hinter der Maske hervor. Eine besinnliche Version des sogenannten “Guerilla Gärtnerns”, die die beiden hier betreiben.

Die Analogie von Landschaftsbebauern und Widerstandskämpfern wirkt bei der Szenerie ein wenig befremdlich. Doch tatsächlich ist die Bewegung stark politisch motiviert. So wurde am 1. Mai 2000 der Parliament Square in London zum Schauplatz einer großangelegten Protestaktion. Schilder mit Aufschriften wie „Resistance is Fertile“ und „The Earth is a Common Treasury for All“ wurden hochgehalten, der Platz mit Blumen und Gemüse bepflanzt.

Während Stricken und Tapen noch in den Kinderschuhen stecken, ist Guerilla Gärtnern schon mit einigen Jahren geschlagen. Die Bewegung kommt ursprünglich aus London und wurde in den 1970ern besonders in New York populär. Mit der jahrelangen Erfahrung der autonomen Schrebergärtner geht auch eine äußerst gute Organisation einher. Per Internet kann man sich in Foren unter www.guerrillagardening.org/community für die Nacht- und Nebelaktionen verabreden. Damit man sich dort zurecht findet, muss man allerdings zumindest die Grundlagen des grünen Partisanenjargons kennen. So sind „Seedbombs“ Kügelchen aus Erde, Samen und Tonpulver, die man unauffällig und schnell an den erwählten Tatort werfen kann. Außerdem wichtig: das „Moosgraffiti“. Dafür nehme man Moos, Buttermilch, Zucker und eventuell ein wenig Wasser, jage das Gemisch durch den Mixer und schmiere das Endprodukt an Wände.

„Moosgrafitti können wir leider an der Rost- und Silberlaube nicht machen, die Außenwände sind nicht rau genug, damit das haftet.“, erklärt John enttäuscht. Währenddessen fegt Jane mit der Hand eine dünne Schneeschicht weg. “Hoffentlich ist der Boden nicht schon gefroren. Eigentlich sollte es heute nicht so kalt werden.” Jane setzt den Spaten an, versucht ihn in die Erde zu drücken. Nichts tut sich. Sie setzt ein zweites Mal an, diesmal stemmt sie ihren Fuß mit aller Wucht auf das Blatt. Immer noch kein Riss. John rollt mit den Augen. “Mädchen! Gib’ her, ich mach’ das.” Der zusammengepresste Mund lässt einen tödlichen Blick hinter Janes 3D-Brille vermuten. Wortlos reicht sie den Spaten weiter.

Ihre Laune bessert sich, als auch John nicht im Stande ist, das Loch für die Tanne zu buddeln. Nach fünfzehn Minuten, die einem in der nächtlichen Kälte wie fünzig vorkommen, geben die beiden schließlich auf. Zumindest Jane wirkt positiv ob ihrer Niederlage gegen die Minusgrade. Sie würden in den nächsten Wochen das Wetter genauer beobachten, verspricht sie. „Bis euer Magazin rauskommt, steht der Baum bestimmt.“

*Name von der Redaktion geändert

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. 24. Januar 2011

    […] Tat­waffe Wolle: Womit man heute Stree­tar macht Fla­neur: Stille Erleich­te­rung Warn­fe­tisch: Tes­to­ste­ron zum […]

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