25 Jahre subventionierter Urlaub

Hurra, Erasmus wird 25 Jahre alt! Doch das obligatorische Jubiläumsfazit fällt traurig aus. Ein Kommentar von Julian Niklas Pohl.

Im Juni 1987 beschloss der Ministerrat der EU, ein Studentenaustauschprogramm ins Leben zu rufen. Ziel sollte die erhöhte Mobilität von Studenten sein, man wollte Hochschulen in ganz Europa vernetzen und zum Kulturaustausch zwischen jungen Europäern aller Nationalitäten beitragen. Erasmus war geboren.

25 Jahre später offenbaren sich Abgründe zwischen Anspruch und Realität, zwischen Grundkonzept und alltäglicher Durchführung. Denn von der Verwirklichung seiner ursprünglichen Ziele ist das Programm heute so weit entfernt wie Trondheim von Istanbul.

An jeder großen Universität bilden sich Erasmus-Enklaven. Die Masse der Austauschstudenten rottet sich zusammen, streng getrennt vom authentischen Unileben im Zielland. Integration findet ausschließlich über das Anderssein statt. An Hochschulen mit großem Aufnahmepotential führt das sogar zu rein nationaler Gruppenbildung. Ein jedes Mal, wenn in den Gängen der Silberlaube acht lautstark diskutierende Französinnen an mir vorbei rauschen, komme ich nicht umhin, mir die Frage zu stellen, wo denn in diesem Szenario der angedachte Kulturaustausch zu finden ist.

Streng kanonisierte Organisation und verbilligte Mieten in großen Studentenwohnheimen führen nur zu Parallelgesellschaften. Der Erasmus-Student trifft auf viele junge Miteuropäer aus vielen verschiedenen Staaten; dagegen wäre an sich ja nichts einzuwenden, nur verkümmert die Wichtigkeit des Ziellandes dabei zusehends. Denn mit Spaniern und Griechen saufen kann man ja in Wohnblocks in Istanbul genauso gut wie in selbigen in Berlin, Helsinki oder Edinburgh.

Noten, ein ausreichendes Sprachniveau und akademische Inhalte scheinen für die Studenten überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Wenn ich wollte, könnte ich schon in wenigen Monaten in einer Vorlesung in Paris sitzen, und es würde mir auffallen, dass ich mit meinem Sprachniveau, das bei „Oui, oui, deux baguettes!“ endet, keine einzige Arbeit einreichen kann. Das von der EU mühevoll herbeiprozessierte ECTS-System wird damit immer überflüssiger, weil sich ohnehin kaum noch jemand Leistungen aus dem Ausland anerkennen lässt.

Müssen, Wollen, Brauchen?

Und dabei scheint doch alles so stimmig zu sein. Heute ist einem zukünftigen Arbeitgeber ein Lebenslauf ohne Auslandserfahrung praktisch nicht mehr zuzumuten. Ein Erasmus-Aufenthalt signalisiert dem potentiellen Chef scheinbar Weltläufigkeit, Offenheit und weiteren Soft-Skill-Bullshit. Doch je mehr Studenten durch Europa gezerrt werden, desto mehr wachsen Zweifel an den positiven Effekten eines Erasmus-Jahres. Was einst spannende Zusatzqualifikation war, scheint heute langweiliges Mainstream-Kalkül zu sein: Man muss halt im Ausland gewesen sein; ob man es wirklich will oder braucht, interessiert längst niemanden mehr.

Die Millionen Euro, die jedes Jahr in das Erasmus-Programm gepumpt werden, sollten umgeschichtet werden: auf Hochschulkooperation beruhende Direktaustauschprogramme, wie sie an der FU in geringer Zahl vorhanden sind, gehören ausgebaut. Hier sorgt ein strengeres Auswahlverfahren dafür, dass eine authentische Motivation für einen Studienaufenthalt im jeweiligen Land besteht. Der Student ist zudem gezwungen, sich mit Forschungsschwerpunkten an den Gastunis auseinanderzusetzen um seine ideale Zieluni zu finden. Die niedrigen Platzzahlen pro Universität versuchen außerdem dem Effekt der Enklavenbildung entgegenzuwirken.

Voraussetzung für einen Aufenthalt im Ausland sollte daher der Nachweis über mindestens gute Kenntnisse der Sprache im Zielland sein, Studiensprache Englisch hin oder her. Wer nach Spanien will, sollte nach Spanien wollen, weil er mit Spaniern leben will, nicht weil dort die Strände so schön und die Cocktails so bunt sind.

Natürlich wird sich nichts ändern. Erasmus bleibt auch nach 25 Jahren populär. Und allen Widrigkeiten zum Trotz: Erasmus ist das, was man daraus macht. Wenn einer jungen Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung ein Platz an der Universität von Uppsala zugesprochen wird, so mag ihr Semester in Schweden inhaltlich hochwertig und spannend verlaufen; und wenn sie sich wirklich dazu zwingt, wird sie während ihres gesamten Aufenthaltes weder mit Briten noch mit Österreichern reden müssen. Doch für den Rest bleibt Erasmus, was es ist: subventionierter Urlaub.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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