„Schönheit ist eine Droge“

Nichts ist subjektiver als Schönheit. Oder doch nicht? Die Wissenschaft bemüht sich um objektive Kriterien. FURIOS sprach mit drei Forschern und stellte fest: Die Objektivität liegt im Auge der Fachrichtung. Ein Gespräch über Sigmund Freud, verführerische Stimmen und Hirschgeweihe. Von Fanny Gruhl und Florian Schmidt


image_aignerProf. Dr. Martin Aigner ist Professor am Institut für Mathematik. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Kombinatorik und Grafentheorie. Daneben beschäftigt er sich mit der Ästhetik der Mathematik und der Eleganz von Formeln.

image_menninghausProf. Dr. Winfried Menninghaus lehrt am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften. Bis 2011 war er Sprecher des Exzellenzclusters »Languages of Emotion«. Er ist Autor des Buches »Das Versprechen der Schönheit«.

image_pashosDr. Alexander Pashos ist evolutionärer Anthropologe. Er lehrt und forscht am Biologieinstitut. Sein Schwerpunkt ist die Erforschung von Verwandtschaftsbeziehungen sowie die Mechanismen der Partnerwahl.


Empfinden Sie die FU als schön?

Alexander Pashos: Die FU als Arbeitsgeber ist sehr angenehm und das Studentenleben hier ist sicherlich herrlich. So mitten im Grünen fühlt man sich wohl. Als Institution besteht sie aber aus mehr oder weniger schönen Teilen. Die Silberlaube ist ja eher praktisch als ästhetisch.

Martin Aigner: Die Freie Universität ist wie Berlin: Viel Grün, manches Grau und immer im Werden – vielleicht nicht schön, aber sehr attraktiv.

Wie lässt sich Schönheit eigentlich wissenschaftlich erfassen?

Winfried Menninghaus: Wenn wir etwas als schön bezeichnen, betrachten wir es unter ästhetischen Gesichtspunkten. Wir bewerten dabei die äußere Erscheinungsweise von Dingen oder Menschen. Bei visueller Schönheit geht es nicht nur um physische Attraktivität. In seiner kulturellen Lebenswelt hat der Mensch sehr vielfältige Möglichkeiten, Kleidung, Schmuck und Prestigeobjekte als Extensionen des Körpers auf Schönheit hin zu gestalten, einzusetzen und zu bewerten.

Pashos: Man sagt ja, Schönheit liege im Auge des Betrachters. Der Forschungsstand zeigt aber, dass sich Attraktivität objektiv erfassen lässt. In der evolutionären Wissenschaft möchte man vor allem Universalien finden.

Auf Schönheitsmerkmale kann man sich also einigen. Wie spiegelt sich das in der Mathematik wider?

Aigner: Wie sonst auch, kann man in der Mathematik über alles streiten. Über eines aber sind sich Mathematiker grundsätzlich einig – und das ist die Eleganz eines gelungenen Beweises oder einer Formel. Dazu gibt es einige schöne Zitate, beispielsweise von Poincaré: »Das Ästhetische mehr als das Logische ist die dominierende Komponente in der mathematischen Kreativität.« Oder von Paul Dirac, der sagte: »Es ist wichtiger, dass eine Formel schön ist, als dass sie mit dem Experiment übereinstimmt.« Das bringt einen schon ins Grübeln. Glaubt man diesen Mathematikern, scheint es so zu sein, dass der schöne Satz auch nahe an der Wahrheit ist.

Warum ist dem Menschen Schönheit so wichtig?

Pashos: Weil sie wichtig für die Fortpflanzung ist. Bei der Partnerwahl geht es vor allem auch um optische Schönheit. In Darwins Theorie der sexuellen Selektion spielt sie ebenfalls eine wichtige Rolle. Der Mensch lässt sich von Schönheit unterbewusst beeinflussen. Das zeigen auch sozialpsychologische Studien, die belegen, dass attraktiven Menschen positive Eigenschaften zugewiesen werden – auch wenn diese Eigenschaften rational gar nichts mit dem Äußeren zu tun haben.

Menninghaus: Das gilt aber auch andersherum: Schönen Menschen werden auch negative Persönlichkeitsmerkmale zugeschrieben, insbesondere schönen Frauen. Sie gelten als wenig hilfsbereit und selten als gute Mütter.

Pashos: Das mag sein. Fest steht: Auch wenn wir uns nicht beeinflussen lassen wollen – unterbewusst geschieht es trotzdem. Nehmen Sie zum Beispiel die Farbe Rot. Sie wird von vielen Lebewesen als Signalfarbe und als attraktiv empfunden. Eine Theorie besagt, dass die rote Farbe für Parasitenresistenz und damit für Gesundheit steht. Bei einem schönen roten Hahnenkamm lässt sich so ein Parasitenbefall ausschließen, denn im kranken Zustand wäre der Hahn gar nicht fähig, die rote Farbe zu produzieren. Auch für den Menschen hat Rot eine bestimmte Bedeutung. Er verbindet sie mit Sexualität; Stichwort Rotlichtmilieu. Unklar ist hierbei zwar das Wechselspiel evolutionärer und kulturhistorischer Faktoren, belegen lässt sich so aber, dass es universelle Wahrnehmungsmuster gibt.

Menninghaus: Der Idee von sexueller Wahl, wie Sie sie beschreiben, Herr Pashos, stimme ich zwar weitgehend zu. Aber man muss die Bedeutung von optischer Schönheit für den Menschen relativieren. Bei der Partnerwahl treten andere wichtige Merkmale hinzu wie Kooperationsfähigkeit und Sprachgewandtheit: Wer schöner oder überzeugender redet, ist der bessere rhetorische Verführer. Das lässt sich in der Politik beobachten. Das Problem ist, dass die Medien das Modell physischer Attraktivität oft vereinfacht darstellen. Die Bedeutung der äußerlichen Schönheit wird überbewertet. Wer die Studien zur Schönheit genau betrachtet, erkennt, dass die statistischen Kennwerte nicht eindeutig sind. Die Effektstärke ist gering, die Varianz ist sehr groß. Folglich können diese Studien nicht besonders viel aussagen.

Herr Pashos, Sie beschäftigen sich auch mit Attraktivitätsforschung und erarbeiten diese Studien. Was sagen sie uns?

Pashos: Natürlich gibt es nicht nur physische Attraktivität. So sind etwa Töne und Gesang bei der Paarung von Vögeln von Bedeutung. Interessant ist auch, dass Dinge, die man primär für schön hält, nicht unbedingt praktisch sind, sondern eher ein »Handicap« – wie das Geweih eines Hirsches, das ihn ja im Alltag eher behindert, als dass es ihm nützt. Die Interpretation dessen aber ist: Der Hirsch zeigt sein großes Geweih, weil er so kräftig ist, dass er es sich leisten kann. Bei Menschen zählen außerdem Intellekt, Ausstrahlung oder gemeinsame Werte. Weil beim Menschen Homogamie überwiegt – er sich also gerne mit Gleichen gesellt –, sind sich die meisten Partner in vielen Eigenschaften ähnlich. Sieht man von der Ähnlichkeit beim Alter als statistisch stärksten Effekt allerdings ab, landet man doch ziemlich schnell wieder bei der physischen Attraktivität.

Es heißt, die soll man auch berechnen können. Was halten Sie als Mathematiker von der Theorie der Schönheitsformel, Herr Aigner?

Aigner: Natürlich nichts. Das sind pseudowissenschaftliche Verfahren. Schönheit kann man höchstens kategorisieren, etwa mittels mathematischer Begriffe wie Symmetrie. (Zum Interviewer) Sie zum Beispiel haben wunderschöne, symmetrische Augen. (Lachen) Es gibt ein paar offensichtliche und auch messbare Merkmale, aber ich persönlich würde das Mathematische dabei gern auf ein Minimum beschränken.

Signale, wie die von Herrn Menninghaus angesprochene »Verführerstimme«, halte ich jedoch für überaus wichtig. Das Aussehen, gerade bei Models, wird überschätzt. Ein normaler Mensch kann sich plagen, wie er will und wird trotzdem nie so aussehen. Die Stimme dagegen kann man trainieren. Wenn ich im Theater bin, fühle ich mich nach einiger Zeit richtig wohl. Mein Begriff von Schönheit hat immer etwas mit Wohlbefinden zu tun. Im besten Fall gerät man durch Schönheit in eine Art Trance. Manchmal gelingt mir das auch selbst. Dann blicke ich bei Vorträgen ins Publikum und denke: Jetzt schweben sie fünf Zentimeter über dem Sitz – ich habe sie gepackt, für einen kurzen Augenblick. Da kommt Schönheit und Wissensvermittlung getragen durch die Stimme zusammen.

Pashos: Aber Sie bekommen im Theater auch jede Menge optische Eindrücke.

Aigner: Natürlich. Aber wenn man jemanden wie Jutta Lampe hört, ist das gesamte Publikum gebannt. Sicher auch von der Erscheinung – mehr noch aber von der Stimme.

Pashos: Trotzdem würde ich sagen, dass menschliche Sinnesorgane vor allem optisch orientiert sind – auch wenn Schönheit über das Äußere hinausgeht. Bei Hunden ist es etwas anders: Da zählt primär der Geruch.

Was löst Schönheit in Ihnen persönlich aus?

Aigner: Das hängt für mich mit den verschiedenen Lebensphasen zusammen. Ich persönlich empfinde die Schönheit der Natur völlig anders als noch vor 20 Jahren. Als Österreicher bin ich schon mein ganzes Leben lang begeisterter Bergsteiger. Früher war das Schöne für mich dabei primär der Sport. Wenn ich heute bergsteige, steht eindeutig das Naturerlebnis im Mittelpunkt. Ich betrachte die Welt mit anderen Augen als früher. Deshalb glaube ich, dass Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Dinge schön finden – und Schönheit folglich auch Unterschiedliches in ihnen auslöst. Eines ist bei mir aber stets gleichgeblieben: Die Leichtigkeit des Seins beeindruckt mich. Das ist Schönheit für mich.

Menninghaus: Was Schönheit in uns auslöst, beschreiben Sigmund Freud und Immanuel Kant sehr gut: Kant spricht von der sich selbst verstärkenden Lust an der Schönheit. Das heißt, wenn wir etwas Schönes erleben, möchten wir dieses Erlebnis gern länger auskosten und wiederholen. Und ich stimme Herrn Aigner zu, dass sich unsere Bewertung von Schönheit vom Kleinkind bis zum alten Menschen ändert.

Wie sehen Sie das als Biologe, Herr Pashos?

Pashos: Ein Schönheitsempfinden ist uns gewissermaßen angeboren. Zwar sind wir nicht Opfer unserer Gene, doch gibt es verankerte Präferenzen, die uns beeinflussen. Wir können versuchen, sie bewusst zu durchbrechen. Gänzlich abschalten können wir das Schönheitsempfinden nicht.

Menninghaus: Kant sagt auch, dass es einen Moment der Harmonie gibt, wenn sinnliche, intellektuelle und moralische Ansprüche im Einklang sind. Das ist die Schönheit, die man mit Freud als »sublimierte« Schönheit betrachten kann, das heißt, als Transformation der sexuellen Dimension von Schönheit in kulturelle oder geistige Lust an Schönheit. Freud zufolge haben diese Formen von Lust einen milde berauschenden Charakter – wenn man so will, ist Schönheit also eine Droge. Eine Droge, die wir außerordentlich gern einnehmen.

Sind Menschen süchtig nach der Droge Schönheit?

Aigner: Sicher sind wir süchtig nach der Schönheit. Aber ich würde es weiter fassen: Der Begriff »Ästhetik« ist dafür besser geeignet. Wir sind ständig auf der Suche nach dem Ästhetischen. Ich stehe morgens auf und mit einem Blick in den Garten fühle ich mich gleich wohl. Ohne Schönheit würden wir verdorren; wie ohne Wasser und Essen.

Menninghaus: Das Schöne ist sicher ein Kernelement der Ästhetik. Aber die Ästhetik hat auch zahlreiche andere Bewertungskategorien entwickelt. Wie zum Beispiel das Interessante, das Erhabene – das nicht per se schön sein muss. Wir suchen verschiedene ästhetische Reize, davon ist Schönheit nur einer, wenn auch ein starker.

Zum Schluss möchten wir Sie noch um eines bitten, Herr Aigner: Geben Sie uns ein Beispiel für besonders schöne Mathematik!

Aigner: Die Formel von Einstein. E=mc². Schöner geht es nicht.

Pashos: Für einen Mathematiker (lacht).

Aigner: Intellektuelles und Ästhetisches lassen sich nicht trennen. Schönheit ist ein Wesenszug von uns.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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