Musik kennt keine Hautfarben

In der Kir­che gibt es das Wort, bei FURIOS den „Song zum Sonn­tag“. In den Semes­ter­fe­rien stellt Robert Ull­rich jede Woche ein Musik­stück vor. Augen zu, Laut­spre­cher an – heute: Weltmusik!


Der Song dieser Woche beginnt mit orientalischen Geigen, gefolgt von morgenländischen Geflöte und arabeskem Gesang. Schnell ließe sich hier das Urteil fällen: „La Mirage“ von The Night Session fällt unter das Genre „Weltmusik“. Doch Vorsicht! Schon naht Kritik.

Zu Weihnachten bekam ich das das Buch „tracks ‚n‘ treks: Populäre Musik und Postkoloniale Analyse“ von Johannes Ismaiel-Wendt geschenkt. Der Hildesheimer Musikwissenschaftler kritisiert, dass bestimmte Kategorisierungen von Rhythmen dazu genutzt würden, um Assoziationen auf rassistische und ethnische Stereotype zu wecken. Aha, denkt die Leserin, was meint er wohl damit?

Es sind Passagen, wie die eingangs Beschriebene. Unter Hinzuziehen allerlei geografischer Adjektive können sich die meisten wohl schon vorstellen, was im Song zu hören ist. Was ist daran schlimm? Ismael-Wendt behauptet, es entstünde eine politische Landkarte, die mit ihren Vorurteilen zur Stigmatisierung der Musik führe. Die geografische Verortung von Klängen sei postkoloniales Machtgebaren und zumeist bloß eine Illusion. Wann ist eine Musik „orientalisch“? Wenn sie aus dem Orient kommt? Wenn die Musiker Shisha rauchen? Das Adjektiv „orientalisch“ bedient lediglich Vorurteile. Kategorisieren ließe sich genausogut „Ortsneutral“.

Bestätigt wird die These durch den heutigen Song. Es ist eine Illusion, dessen Herkunft am Rhythmus erkennen zu können. Zwar erscheint das Lied auf einem Sampler mit dem Titel „Underground Grooves of Turkey“; suggeriert also, dass die Musik einen türkischen Hintergrund hat. Tatsächlich aber verbergen sich hinter The Night Session die französischen Produzenten Pascal Werner und Stéphane Horeau.

Die Herkunft von Musik vom Rhythmus abzuleiten, ist ebenso plump, wie gleiches mittels Hautfarbe beim Menschen zu tun. Musik, bilianziert Ismaiel-Wendt, sei vor allem eines: Bewegung! – Und nicht Aufbewahrungsgefäß unserer Weltbilder. „La Mirage“ macht diese These bei Minute 3:02 greifbar: Auf die Stille des Wassertropfens setzt mit voller Kraft der mitreißende Beat ein. Egal wo dieser Song herkommt – hier gerät er in Bewegung!

Song: La Mirage
Interpret: The Night Session
Album: Beyond Istanbul. Underground Grooves of Turkey, 2006
Label: Trikont
Preis: 15 Euro (CD Sampler)

Frontpage-Illustration: Luise Schricker

Hier geht’s zu wei­te­ren Tei­len der Serie „Song zum Sonntag“

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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