Der Mythos einer Königin

Die Königin-Luise-Straße kennen viele FU-Studenten — die Königin selbst dagegen kaum jemand. Eine Ursachenforschung über Mythos, Gegenwart und die Rolle der Frau. Von Robert Ullrich

Die Königin-Luise-Straße verläuft zwischen der Clayallee und dem Botanischen Garten. An ihr liegt auch der Hauptausgang des U-Bahnhofs Dahlem-Dorf. Foto: Christopher Hirsch

Die Königin-Luise-Straße verläuft zwischen der Clayallee und dem Botanischen Garten. An ihr liegt auch der Hauptausgang des U-Bahnhofs Dahlem-Dorf. Foto: Christopher Hirsch

Wer die Treppe am U-Bahnhof Dahlem-Dorf nach oben steigt und Richtung Eisladen, Buchhandlung und „Kaisers“ läuft, hat sie bereits unter seinen Füßen: die Königin-Luise-Straße. Königin Luise? Wer war das?

Luise von Mecklenburg-Strelitz, geboren 1776, war die erste Frau des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III., Großneffe von Friedrich II., dem „Alten Fritz“. Seit der Krönung ihres Mannes im Jahr 1797 war Luise bis zum ihrem frühen Tod 1810 Königin von Preußen. Aha!

Wie so oft ist es der Rückgriff auf die Männerwelt, der die historische Einordnung einer Frau ermöglicht. Dabei war ein gewisser Luisen-Ruhm über lange Zeit weit verbreitet. Viele spätere preußische Herrscher mythisierten die erste Gattin des Königs. Im Mittelpunkt standen dabei ihre Schönheit, ihre Mutterrolle und ihre Opferbereitschaft. Was hatte es damit auf sich?

Die drei Mythen der Königin

1. Ihre Schönheit: Verheiratet wurde Luise bereits im Alter von 17 Jahren. Weitere 17 Jahre später im Alter von 34 starb sie. So konnte sich das Bild der ewig jungen Königin erhalten.

2. Ihre Mutterrolle: In ihren 17 Ehejahren war Königin Luise praktisch ununterbrochen schwanger. Sie gebar zehn Kinder und sorgte auf diesem Wege für die erwünschten männlichen Thronfolger; ihr zweitältester Sohn wurde später als Wilhelm I. der erste deutsche Kaiser. Grund genug, sie für ihre Mutterrolle zu huldigen – zumal ihre Ehe mit Wilhelm III. als durchaus modern galt. Die Eheleute redeten sich mit „Du“ an, besuchten sich gar unangemeldet auf ihren Zimmern. Zeitgenossen beschrieben die private Seite des Ehepaars daher als vorbildhaftes deutsches Familienleben.

3. Ihre Opferbereitschaft: Im Jahr 1806 schickte sich Napoleon Bonaparte an, seinen Einflussbereich auf preußische Gebiete auszudehnen. Wilhem III. erklärte Frankreich den Krieg und verlor. Die Königsfamilie flüchtete bis in den äußersten Osten des Reiches. Zu den Friedensverhandlungen, forderten Wilhelms Berater, sollte nicht nur der König, sondern auch Luise als weiblicher Ausgleich erscheinen. Luise, die in Napoleon ein moralisches Ungeheuer sah, folgte dieser Aufforderung widerstandslos und schrieb in einer Briefantwort: „Ich eile, ich fliege nach Tilsit, wenn Sie es wünschen.“ In Tilsit angekommen, trat sie dem nunmehr mächtigsten Mann Europas gegenüber und „opferte“ sich für ihr Volk, indem sie zu Napoleon sagte: „Der Ruhm Friedrichs des Großen hat uns über unsere Mittel getäuscht.“ Laut ärztlicher Diagnose ist an dieser Opferbereitschaft Luises Herz gebrochen, sodass sie schon wenige Jahre später starb – soweit der Mythos.

Die Bedeutung der Frau — nur durch ihren Mann?

Mythos und Gegenwart: Wer also war Königin Luise? Während ihr Mann dem preußischen Königreich vorstand, lag Luises Rolle darin, ihren Gatten als Lebensmittelpunkt zu begreifen. Ihre Rolle galt dem Ausgleich, der Vertrautheit und der öffentlichen Darstellung. Aus heutiger Sicht sicher kein unbekanntes, aber durchaus nicht in allen Gesellschaftsschichten erstrebenswertes Phänomen.

Dieses Muster funktionierte lange und funktioniert teilweise noch heute. Nur führt es auch dazu, dass einen nicht das eigene Schaffen, sondern erst der Umweg über die Männerwelt die persönliche Bedeutsamkeit verschafft. Stets nur Person „von“ etwas sein? Immer nur „durch“ jemanden bekannt bleiben? Keine rosigen Aussichten. Die Königin-Luise Straße sollte für die Frauen des 21. Jahrhunderts Anlass sein, mehr Fluss als Floß zu fordern. Wer das nächste Mal den U-Bahnhof Dahlem-Dorf verlässt, sollte sich der Namenspatronin erinnern und dem Straßenverlauf nicht bloß folgen, sondern voranschreiten!

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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