Cobain – Schleudertrauma in der Hölle

In seiner Dokumentation über das Leben Kurt Cobains verarbeitet Regisseur Brett Morgen bisher unveröffentlichtes Material – und mutet dem Publikum einiges zu. Von Sophie Krause

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Kurt Cobain, Ikone der Neunziger Jahre. Foto: Jeff Kravitz/FilmMagic/Getty

 

„The Montage of Heck” wird seinem Titel gerecht. Dieser Film ist nicht schön. Er ist laut, hässlich, chaotisch und dreckig. Er ist anstrengend. Er strapaziert die Nerven seiner Zuschauer. Er bereitet reißende Kopfschmerzen. Es ist ein optischer und akustischer Höllenritt. Kurzum: Er verarbeitet Kurt Cobains Leben.

Es ist tatsächlich eine Fotomontage aus der Hölle („Montage of Heck“), die Regisseur Brett Morgen aus alle audiovisuellen Materialien, die der Nirvana-Frontmann hinterließ, zusammengesetzt hat und dem Zuschauer wie Dreck ins Gesicht schmeißt. Dafür bediente er sich bisher unveröffentlichten Tagebuchaufzeichnen, Notizen, Bildern, Tonbändern und wackeligen Privatvideos im Super-8-Format. Cobain war zur Lebzeiten sein eigener Autobiograph. Seine eigenen Songs liefern den Soundtrack zu Morgens Film, dessen Titel auf einem frühen Tape Cobains basiert.

Drogen, Punk – nichts Neues

Kurt Cobain wurde mit der legendären Grunge-Band Nirvana weltberühmt. Nirvana waren die Ikonen der 1990er-Jahre und Stars wider Willen. Sie beherrschten Drogenexzesse, Punk und Rebellion in Perfektion. Cobains tragischer Tod 1994 bedeutete das Aus der Band. Und Cobain wurde zur Legende.

Doch womit rechtfertigt sich im Jahr 2015 eine weitere Dokumentation über Kurt Cobains Leben? Morgans Film bleibt die Antwort schuldig; er erzählt wenig Neues. Cobains Depression, seine zerrüttete Kindheit, seine grenzenlose Kreativität und seine Heroinsucht – bekannt.

Doch Brett Morgen gelingt es, die Abgründe des Musikers mit schneller Schnittfolge und krassen Brüchen filmisch zu inszenieren. Er zieht den Zuschauer hinein in die intimsten Momente des infernalischen Cobain-Universums. Er zeigt einen Menschen, dessen Hirn nie stillstand, der immer etwas tun musste und keine Ruhe fand. Der so viel Wut und Liebe gleichermaßen in sich trug. Er erzählt sein Leben wie die Geschichte eines Mannes, der in einem mit 300 km/h rasenden Zug gefangen ist und auf sein Ende zusteuert.

Wenig Doku, viel „Erlaubt ist, was gefällt!”

Interviewsequenzen wirken in diesem Tempo wie rettende Pausen, ruhige Inseln des Innehaltens und der Reflexion. Morgen lässt ausschließlich Menschen aus Cobains engstem Umfeld zu Wort kommen. Cobains Eltern erzählen von einem schwierigen, hyperaktiven Kind, das außergewöhnlich kreativ war. Cobains Witwe Courtney Love äußert sich erstaunlich gefasst über ihre gemeinsame Zeit. Nirvana-Bassist Krist Novoselic erinnert sich an den Band-Leader Cobain, der es hasste, gedemütigt zu werden. Die Gesprächsausschnitte geben dem Film die Struktur, die Cobain vielleicht selbst vermisste.

„The Montage of Heck” verdient die Genre-Bezeichnung Dokumentation nicht. Morgen erzählt Cobains Leben zwar in chronologischer Reihenfolge, er führt Interviews und bereitet unzählbares Material auf. Doch er gibt keine Antworten. „The Montage of Heck“ kratzt überall nur an der Oberfläche, ergründet aber nicht. Stattdessen überfrachtet Morgen sein Publikum mit Eindrücken nach dem Motto „Erlaubt ist, was gefällt!“ und zwingt es, durch Cobains Augen zu schauen, psychoanalytisch vorzudringen und selbst Antworten zu finden. Seine eigentliche kreative Leistung besteht darin, einen Film geschaffen zu haben, der das mutmaßliche Wesen Kurt Cobains widerspiegelt – sein Chaos, seine Abgründe, seine Verzweiflung.

Wer nach „The Montage of Heck“ noch Nerven hat, sollte den Abspann abwarten. Danach verrät Morgen, welcher Film ihn – wenig überraschend – inspirierte.

The Montage of Heck

Regie: Brett Morgen

Kinostart am 9. April 2015

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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