Dschihad für das Deutsche Reich

Die älteste Moschee Deutschlands steht in Wünsdorf bei Berlin. FU-Archäologen haben nun ihre Reste ausgegraben. Projektleiter Reinhard Bernbeck erklärt die historische Bedeutung dieses Ortes. Von Carla Hegerl

FU-Archäologe Reinhard Bernbeck leitete die Ausgrabung. Foto: Carla Hegerl

FU-Archäologe Reinhard Bernbeck leitete die Ausgrabung. Foto: Carla Hegerl

Es ist die Zeit des Ersten Weltkriegs. Briten und Franzosen kämpfen gemeinsam gegen die Deutschen und das Osmanische Reich. In einem Gefangenenlager in Wünsdorf werden Muslime aus den Kolonien der Kriegsgegner umerzogen. Sie sollen für die Deutschen kämpfen. Angelpunkt dieses Vorhabens war die Moschee, die vergangenen Sommer freigelegt wurde.

FURIOS: Herr Bernbeck, noch immer behaupten Menschen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Nun graben Sie eine rund 100 Jahre alte Moschee aus. Beginnt die Geschichte des Islam in Deutschland bereits mit deren Bau?

Reinhard Bernbeck: Große muslimische Bevölkerungsanteile gab es damals nicht. Ich würde weniger sagen, dass die Geschichte des Islam in Deutschland hier beginnt als vielmehr, dass sich auf tragische Weise ein historischer Kreis schließt. Denn dort hat das Deutsche Reich den Dschihad propagiert und die Menschen, die jetzt hierher kommen, sind diejenigen, die vor dem Dschihad fl iehen.

Das christliche Deutsche Reich propagierte den Dschihad? Klingt nach einem Widerspruch.

Die Moschee war zynischerweise ein Propagandainstrument. Gefangene aus den feindlichen Kolonien sollten für den Dschihad der Osmanen und Deutschlands gewonnen werden. Es ging nicht darum, Muslime aus humanitären Gründen ihre Religion ausüben zu lassen. Vielmehr sollten sie so indoktriniert werden, dass sie auf deutscher Seite im Ersten Weltkrieg verwendet werden konnten. Auch die wissenschaftlichen Untersuchungen, für welche die Gefangenen missbraucht wurden, machen den Ort so wichtig. Viele Linguisten und Ethnologen reisten damals nach Wünsdorf. Dort hat man etwa Aufnahmen mit Phonographen gemacht, auf denen zu hören ist, wie die Gefangenen in die Schalltrichter sagen: »Wenn ich noch ein Jahr hier bin, dann bin ich tot.«

Wurden tatsächlich Gefangene von dort in den Dschihad geschickt? Und was passierte mit den Überlebenden nach Ende des Krieges?

Das Ganze ist total schiefgegangen: Die ersten »Dschihadisten« sind zwar relativ schnell nach Istanbul geschickt worden, dort wurden sie aber so schlecht behandelt, dass sie desertiert sind. Das war 1915, zur Zeit des armenischen Genozids. Theoretisch könnte es also sein, dass einige Menschen aus Wünsdorf Zeugen dieses Ereignisses wurden. Was mit den Überlebenden des Lagers nach Ende des Krieges geschah, können wir leider nicht sagen, außer dass einige Muslime bis in die 1920er Jahre hinein dort geblieben sind.

Es ist erstaunlich, wie wenig über die Geschichte des Islam in Deutschland bekannt ist. Soll es auch Ziel der Ausgrabung sein, darüber aufzuklären und so Vorurteile abzubauen?

Die Geschichte Deutschlands im letzten Jahrhundert ist so extrem von Gewalt durchzogen, dass die Jahre der NS-Zeit wie eine psychologische Sperre wirken. Daher fällt es schwer, sich in die Zeit vor hundert Jahren hineinzuversetzen und daraus Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen. Ich glaube also nicht, dass das Wissen über den Islam in Deutschland vor 100 Jahren dazu beitragen kann, Vorurteile abzubauen. Ich würde eher sagen, der Ort ist eine Erinnerung daran, wie islamischer Glaube auf grausame Art instrumentalisiert worden ist.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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