Zurück in die Reader-Steinzeit?

Ab 2017 werden Unis zur Kasse gebeten, wenn sie Studenten urheberrechtlich geschützte Texte im Intranet zur Verfügung stellen. Der FU drohen hohe Kosten und deutlich mehr Aufwand. Eine echte Lösung hat derzeit niemand. Von Marius Mestermann

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Auf Blackboard gibt es vielleicht bald keine Literatur mehr. Foto: Marius Mestermann

„Wenn es so geregelt wird und eine Lehre nicht mehr möglich ist, dann mache ich hier dicht“, sagt Rainer Alisch. Seit elf Jahren ist er Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI). Damit seine Studenten etwas von seinen Kursen haben, müssen sie lesen – und zwar Literatur, die Alisch wie viele andere Dozenten auf Blackboard zur Verfügung stellt.

Doch mit Beginn des kommenden Jahres soll eine neue Regelung in Kraft treten, die das Studieren für alle Beteiligten komplizierter machen dürfte: Texte sollen nur noch gegen eine deutlich höhere Gebühr als bisher auf Blackboard gestellt werden können. Außerdem müssen sie von Dozenten einzeln angemeldet werden. Diese fürchten den Mehraufwand schon jetzt. Die FU hingegen will vor allem den Kosten aus dem Weg gehen. Doch niemand hat eine echte Lösung parat.

VG Wort erkämpft mehr Geld

Im September dieses Jahres wurden neue Verträge zwischen der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort), dem Bund und der Kultusministerkonferenz unterzeichnet. Unis hatten kein Mitspracherecht. Die Vereinbarungen befassen sich mit der Auslegung von § 52a des Urheberrechtsgesetzes. Dort ist geregelt, unter welchen Bedingungen urheberrechtlich geschützte Werke im Intranet von Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen eingestellt werden dürfen. Zu den Voraussetzungen gehört unter anderem eine angemessene Vergütung für die Benutzung.

Doch was heißt „angemessen“? Bislang zahlte die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Pauschalbeiträge für alle Einrichtungen an die zuständigen Verwertungsgesellschaften. Im Haushalt für 2016 wurde mit insgesamt 180.000 Euro gerechnet. Die Universitäten waren nicht unmittelbar eingebunden. Doch schon im vergangenen Jahr hatte die VG Wort, die nach eigenen Angaben die Nutzungsrechte und Vergütungsansprüche von über 400.000 Autoren verwaltet, stattdessen Einzelerfassungen gefordert.

Jetzt ist klar: Ab dem 01.01.2017 sollen Hochschulen pro Seite und Kursteilnehmer 0,8 Cent zahlen, wenn ein urheberrechtlich geschütztes Werk ein Semester lang im Intranet verbreitet wird. Dozenten müssen dazu jeden der Texte in einem elektronischen Verfahren einzeln anmelden, und zwar jedes Semester aufs Neue. Betroffen sind an der FU etwa Plattformen wie Blackboard oder das FU-Wiki. Wie hoch die Kosten insgesamt ausfallen werden, ist kaum abzuschätzen – das Präsidium kennt den Umfang der Inhalte im Intranet nicht.

FU will Kosten vermeiden

Die Uni will die drohenden Rechnungen trotzdem so gut es geht vermeiden. In einem Schreiben kurz vor Semesterbeginn bat der FU-Vizepräsident Klaus Hoffmann-Holland die Lehrenden darum, „nach Möglichkeit auf das Einstellen von kostenpflichtigen Dokumenten in Blackboard zu verzichten und stattdessen auf entsprechende Inhalte zu verlinken“, die über bestehende Lizenzen bereits für alle FU-Angehörigen verfügbar sind. Das sind in der Tat nicht wenige, die Rede ist von mehreren hundert Millionen Publikationen.

Das könnte zwar die Kosten drücken, klingt aber ziemlich umständlich. „Der entstehende Mehraufwand wäre gigantisch“, meint OSI-Professorin Brigitte Kerchner. Auch das Präsidium gesteht zu, dass dadurch die „bislang erreichten Verbesserungen im E- und Blended Learning wieder in Frage gestellt werden“.

Keine klare Strategie der Berliner Hochschulen

Offenbar wissen die Verantwortlichen noch nicht, wie man Kosten und bürokratischem Mehraufwand zugleich aus dem Weg gehen könnte. Die Berliner Hochschulen arbeiteten jedenfalls mit Hochdruck daran, „ein machbares Verfahren im Umgang mit den Neuerungen zu entwickeln“, heißt es aus dem Präsidium. Zudem seien die Köpfe der Berliner Hochschulen dabei, mit der zuständigen Senatsverwaltung die „finanziellen Auswirkungen zu klären“.

Rainer Alisch fordert, dass die FU das Problem lösen soll, ohne es auf die Dozenten abzuwälzen. Andernfalls will der langjährige Dozent sein Seminar kurzerhand zum „privaten Lesekreis“ deklarieren. Brigitte Kerchner hingegen sieht als Ausweg derzeit nur den Umstieg auf klassische Papierwälzer aus dem Copy-Shop – gleichbedeutend mit der Rückkehr in die Reader-Steinzeit.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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5 Responses

  1. Für Hochschulen, die dem Rahmenvertrag mit der VG WORT nicht beitreten, bietet die Plattform http://www.digtaler-semesterapparate.de von Booktex die rechtssichere Möglichkeit, über 50.000 Titel auch weiterhin in Lern-Management-Systemen und digitalen Semesterapparaten zu nutzen – sogar in größerem Umfang als es § 52a UrhG erlaubt und mit Bereitstellung der benötigten Auszüge als PDF, was den Aufwand für das Einscannen an den Hochschulen erspart.

  2. Christopher King sagt:

    Staatssekretär für Wissenschaft Steffen Krach dazu:
    https://twitter.com/s_krach/status/793445577749098497

  3. anja sagt:

    ….. meinen das manche ernst – schon mal was von Mailinglisten für verzipte Dokumente etc. gehört?

  4. Benjamin Blinten sagt:

    Gut recherchierter Artikel – nur verstehe ich nicht, weshalb das Verlinken auf eine vorhandene Lizenz mehr Arbeit machen soll als das Hochladen. Im Übrigen wäre ein möglicher Lösungsweg, dass die Berliner Hochschulen dem Vertrag nicht beitreten und parallel mit der VG Wort direkt verhandeln, mit dem Ziel, die unsäglichen Einzelmeldungen zu vermeiden. Das bedeutet zwar für eine begrenzte Zeit tatsächlich eine “Rückkehr in die Reader-Steinzeit”, setzt die VG Wort aber durch die fehlenden Einnahmen so stark unter Druck, dass eine neue Pauschalregelung durchaus realistisch wäre.

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