Urlaub in Gefangenschaft

Im psycho-sexuellen Thriller “Berlin Syndrom” liefern Teresa Palmer und Max Riemelt sich ein virtuoses Katz- und Maus Spiel. Von Sofie Eifertinger

Katz und Maus: Andi (Max Riemelt) und Clare (Teresa Palmer). Quelle: MFA

Katz und Maus: Andi (Max Riemelt) und Clare (Teresa Palmer). Quelle: MFA

Über einem Bildband des Erotomanen Klimt berühren sich die Hände der beiden Protagonisten von „Berlin Syndrom“, dem neuen Thriller der Regisseurin Cate Shortland, zum ersten Mal. Die Australierin Clare (Teresa Palmer) ist, nachdem sie ihr Leben in Brisbane aufgegeben hat, mit nichts als einem Backpack und ihrer Kamera ins wilde Berlin gereist. Als sie gerade durch die Straßen Kreuzbergs spaziert, trifft sie auf den charmanten Lehrer Andi (Max Riemelt) und erkundet mit ihm die Stadt. Nachdem sich die Wege der beiden zunächst wieder zu trennen scheinen, sucht Clare Andi in einem Buchladen auf – als dieser gerade Klimts Werke durchsieht.

“No one can hear you”

Die anfängliche Liebelei der beiden schlägt schnell in einen perversen Albtraum um, als Andi nach der ersten gemeinsamen Nacht die Tür von außen abschließt und Clare in der Wohnung gefangen ist. “No one can hear you”, hatte er ihr beim Sex versichert. Bald verwandelt sich diese Sicherheit in eine Bedrohung, als Clare bewusst wird, dass die Wohnung einem Verlies gleicht: gepanzerte Fenster, verriegelte Türen und keine Nachbarn, die auf die Entführung aufmerksam werden könnten. Wie sich die Beziehung von Andi und Clare entwickelt wird mit dem im Titel suggerierten psychologischen Phänomen des Stockholm Syndroms angedeutet, bei dem Entführte Zuneigung für den Täter spüren. Nie ist man sich sicher, ob Clare tatsächlich Gefühle für ihren Entführer hegt oder diese vorspielt, um sich selbst zu schützen. Der Schauplatz Berlin ist, wie Melanie Joosten, Autorin des gleichnamigen Romans, in einem Interview erklärt, eine “delicious metaphor”. So versteht sie die Gefangenschaft Clares in einer verlassenen Mietskaserne des alten Ostberlin als Parabel für totalitäre Systeme wie die DDR.

Eine Puppe in der Hand des Monsters?

Der Nervenkitzel des – mit zwei Stunden etwas lang geratenen – Films wird durch zwei Erzählperspektiven aufgespannt, die von Shortland raffiniert verflochten werden. Im klaustrophobischen Setting der Wohnung unternimmt Clare, die mit der elfenhaften Teresa Palmer hervorragend besetzt ist, diverse Ausbruchsversuche. „Mine“ tätowiert Andi ihr bald auf den Rücken, als wäre ihr Körper sein Besitz. Die Vergewaltigung und zunehmende Verwahrlosung der Gefangenen erzählt Kameramann Germain McMickings statt durch aggressive Szenen sexueller Gewalt anhand subtiler Bilder. Beispielsweise lässt die kühle Dokumentation der täglichen Fesselung Clares ans Bett Schreckliches vermuten, kommt aber ohne explizite Sexszenen aus.

Trotz der psychischen und sexuellen Misshandlung ist Clare nicht nur Gefangene und Opfer. Während sie alleine in der Wohnung ist, scheint sie Energie für ihr ständiges Wechselspiel zwischen Provokation und Unterwerfung zu sammeln. Wenn Andi nicht gerade ein ungezügelter Entführer ist, kümmert er sich um Clare, als wäre sie seine Partnerin, sodass ein eigenartig harmonischer Alltag der Gefangenschaft entsteht. Außerhalb des Gefängnisses bietet sein regulärer Alltag einen krassen Kontrast. Jedoch zeigt sich hier zunehmend, dass hinter der Fassade des sympathischen jungen Mannes ein gefährlicher Psychopath schlummert. Besonders spannend wird dieser durch die ruhige Boshaftigkeit, mit der Riemelt ihn spielt. Zusammen mit den elektronisch-mystischen Beats des Soundtracks von Bryony Marks fühlt sich der gesamte Film wie ein Kunstwerk an, ein ästhetisiertes Bildnis von Perversion. Daher ist Shortland mit “Berlin Syndrom” ein aufwühlender Psychothriller gelungen, dank dem die nächste Backpacktour sicherlich nicht ohne Gänsehaut vorübergeht.

“Berlin Syndrom” läuft seit dem 25. Mai in ausgewählten deutschen Kinos.
 Kinofilm, 116 Minuten, FSK 16 – 2017


Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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