Bringt euch in Sicherheit!

Ein laues Lüftchen namens Herwart ließ kürzlich die Handys Berliner Facebook-Nutzer*innen Sturm klingeln. Anselm Denfeld sieht darin einen weiteren Schritt des Sozialen Netzwerks in Richtung Weltherrschaft.

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Als am vorletzten Sonntag höchstens ein paar Äste vor unseren Fenstern wackelten, warnte Facebook davor, dass uns der Himmel auf den Kopf fallen könnte und melkte mal wieder ordentlich die Traffic-Kuh. Mit immer wieder neuen Funktionen macht sich der Konzern auf den Weg weltweit Koordinator der Öffentlichkeit zu werden.

Bei Sturm Herwart hatte das Soziale Netzwerk wieder den „Safety Check“ eingeschaltet. Nutzer*innen konnten sich als „in Sicherheit“ melden und Freund*innen damit die Benachrichtigungen überlaufen lassen. Es klingelte buchstäblich Sturm auf den Handys der Berliner Facebook-Nutzer*innen. Das Ziel der Funktion ist kein geringeres, als bei Katastrophen jeglicher Art Hilfe, Spenden und Informationen zu organisieren.

Trotz einiger Zerstörungen und neun Toter war der Orkan zwar mit Sturm Xavier (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Shitstorm, ausgelöst durch ein extremes Intelligenz-Tief aus Mannheim – keine Toten, aber ein sehr verletzter) einer der schlimmsten des Jahres, aber eigentlich keine Katastrophenwarnung wert. Dass Facebook trotzdem Alarm auslöste, liegt an einem neuen Algorithmus. Posten viele Nutzer*innen über ein Unwetter kann schnell mal „viel Wind um nichts“ gemacht werden.

Algorithmus mit Doppelmoral

Der deutschlandweiten Panikmache durch Facebook stehen Vorfälle wie der Anschlag in Beirut 2015 gegenüber. Die 43 Toten dort hatten den Safety Check laut Algorithmus scheinbar nicht so sehr verdient wie die Opfer des Massakers in Paris wenig später. Aktionär*innen und Aufsichtsräte Facebooks sitzen hauptsächlich in der westlichen Welt und sind darauf aus, möglichst viele Daten zu erbeuten und Werbeanzeigen zu schalten. Da bleibt kein Raum für echte Krisenhilfe oder Kritiker*innen, die nochmal schnell das Wort Doppelmoral erklären.

Der Safety Check ist nur einer von vielen Schritten Facebooks zum unumgänglichen Medium. So kündigte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zudem an, verstärkt Kommunikation zwischen Nutzer*innen und Unternehmen zu unterstützen. Mit über 10 Mrd. US-Dollar Umsatz im dritten Quartal 2017 – etwa doppelt so viel wie noch zwei Jahre vorher – haben wir es mit einem schnell wachsenden Datensammler zu tun, der Ambitionen zeigt, über die Funktion der Kommunikationsplattform hinauszuwachsen. Gerade die Einbettung finanzieller Funktionen wie der Spenden für Krisenopfer zeigen, neben sozialem Austausch, deutliche Ansätze auch Zahlungsverkehr zu organisieren.

Gesellschaftlicher Nutzen ist fraglich

Jüngste Forschungen, die zeigen, dass Nutzer*innen teils ihr reales Leben vernachlässigen oder sich verstärkt einsam fühlen, lassen am gesellschaftlichen Nutzen von Sozialen Medien zweifeln. Solange Facebook ein solches bleibt, mag es eine akzeptable Plattform sein. Sobald es sich aber anmaßt, in andere Bereiche des öffentlichen Lebens einzudringen und staatliche Aufgaben zu übernehmen, wird es zur Bedrohung. Wenn eine Gesellschaft dann nicht einschreitet, wird ihr eigener gesellschaftlicher Nutzen fraglich.

Wer wirklich in Sicherheit sein will, sollte den nächsten Safety Check vielleicht einfach ignorieren. Und statt sich einzeln durchzuklicken, ob auch keine*r der 584 Freund*innen von einem Orkan erwischt wurde könnte man ja mal das erste Kapitel von Dave Eggers Dystopie-Roman „The Circle“ lesen. In dem Buch beschreibt der Autor wie ein Social-Media-Konzern erschreckend schnell die Herrschaft über die USA an sich reißt. Klingelts?

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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